GEPRÜFTE BAUSTELLEN IM JAHR
     

„Beim Fachkräftethema Sorgen der Betriebe ernst nehmen!“

Mehr Fairness in der Fortbildung und Bildungsreform gefordert. (OTS) – Wien; Beim gestrigen Finale der World Skills in London haben Wiens Nachwuchs-Fachkräfte ihr Können eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Alle zwei Jahre treten die besten Lehrabsolventen gegeneinander an, um ihre fachlichen Fähigkeiten auf internationalem Parkett unter Beweis zu stellen. Heuer qualifizierten sich insgesamt 1000 Burschen und Mädchen aus 50 Staaten. Mehr als 150.000 Zuschauer machten die viertägige Veranstaltung zur weltweit größten Leistungsschau im Ausbildungsbereich. Österreichs Team war mit 28 Teilnehmern, allein 5 davon aus Wien, überdurchschnittlich vertreten.

Überdurchschnittlich waren auch die Leistungen der heimischen „Athleten“: 3x Gold, 1x Silber, 2x Bronze!

So erfreulich die Ergebnisse der österreichischen Jung-Fachkräfte in London sind, die Zukunft sieht weniger rosig aus. „Österreich läuft sehenden Auges auf einen Fachkräftemangel zu. Wenn die Politik nicht rasch handelt, wird es gravierende Nachteile für unsere Betriebe geben, die auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen sind“, warnt Brigitte Jank, Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien. Derzeit bilden knapp 4500 Wiener Betriebe rund 16.100 Jugendliche zu Fachkräften aus. Doch trotz bester beruflicher Aussichten nach einer Lehre streben immer mehr Jugendliche die Reifeprüfung an. Gleichzeitig nimmt die Zahl der 15jährigen in Österreich und Wien stetig ab. „Wenn diese Entwicklung andauert, können wir den laufenden Bedarf an Fachkräften nicht mehr decken„, so Jank. Das hat direkte Auswirkungen auf die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Wien. Bildungsexperten haben das drohende Szenario bereits in Zahlen gegossen: Während österreichweit derzeit 40 Prozent der 15-Jährigen eine Lehre beginnen, werden es in 5 Jahren nur mehr 30 Prozent sein -Tendenz sinkend.

  • Mitschuld trägt auch das in großen Teilen der Bevölkerung vorhandene aber unbegründete schlechte Image der Lehre

So streben immer mehr Jugendliche – wohl auch durch ihre Eltern beeinflusst – Richtung Reifeprüfung und ziehen schlecht bezahlte Akademikerpositionen einem attraktiven Fachkräftegehalt vor. Die Folge ist, dass viele Oberstufenschüler in einem für sie völlig falschen Schulsystem sitzen und schlechte Noten bzw. Sitzenbleiben lieber in Kauf nehmen als eine vielfältige, praxisnahe und vielversprechende Fortbildung in einem der knapp 200 Lehrberufe. Dabei zeigt ein Vergleich der Einkommen in Österreich, dass Arbeitnehmer mit Lehrabschluss mit Maturanten annähernd gleichgestellt sind.

Zahl der Risikoschüler steigt Gleichzeitig  klagen zunehmend mehr Ausbildungsbetriebe darüber, keine geeigneten Lehrlinge zu finden. Tatsächlich gilt jeder fünfte Wiener Schüler in der 8. Schulstufe als Risikoschüler, mit gravierenden Mängeln, besonders bei der Lesekompetenz, was auch negativ auf Fähigkeiten wie Schreiben und Rechnen durchschlägt. Um jene Jugendlichen, die wegen mangelnder Qualifikation keine betriebliche Ausbildung beginnen können, aufzufangen, forciert die öffentliche Hand die so genannte überbetriebliche Ausbildung – mit Kosten von mehr als 18.000 Euro pro Kopf und Jahr.

  • Gelder aus der überbetrieblichen Ausbildung besser nützen

Diese Einrichtungen sind vor allem für jene Jugendliche relevant, die das Schulsystem mit großen Mängeln in den Basisqualifikationen wie Lesen, Schreiben und Rechnen verlassen und deshalb keine Lehrstelle in einem Betrieb finden. Mit hohem finanziellen Aufwand versuchen die überbetrieblichen Ausbildungsstätten die fehlenden Fertigkeiten auszugleichen – Fertigkeiten, die das Schulsystem vorher eigentlich hätte vermitteln sollen! „Die Politik versucht hier, die Folgen eines unzeitgemäßen Bildungssystems im Nachhinein auszumerzen. Damit muss Schluss sein!“, so Jank. Denn die Jugendlichen hätten zu diesem Zeitpunkt bereits vielfach negative Erfahrungen hinter sich: keine Erfolge in der Schule, schwierige Erlebnisse bei Vorstellungsgesprächen und das Gefühl, gescheitert zu sein. Hinzu kommt die Ungewissheit, wie es nach der überbetrieblichen Lehre weitergeht.

„Das Geld zur Förderung der Jugendlichen muss viel früher eingesetzt werden – nämlich in den Pflichtschuljahren“, sagt Jank. Defizite bei einzelnen Schülern müssen rechtzeitig erkannt und mit speziellen Förderprogrammen beseitigt werden. Jeder Jugendliche muss in die Lage versetzt werden, die Schule mit ausreichenden Grundkenntnissen verlassen zu können. Alles andere ist verantwortungslos gegenüber den Jugendlichen. Erfahrungen der Wirtschaftskammer Wien mit einem Pilotprojekt haben gezeigt, dass lernschwache Schüler durch gezielte, moderne Lernmethoden rasch begeistert und unterstützt werden können. Jank: „Wenn die Politik nicht bald gegensteuert, gehen Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Steuern verloren.“

  • Lehre, Matura oder Studium: Mehr Fairness

Weiters setzt sich Jank für mehr Fairness bei der Finanzierung des heimischen Bildungssystems ein. Dazu gehört auch, die Leistung der Wiener Lehrbetriebe endlich gebührend anzuerkennen: Derzeit sichern die Wiener Ausbildungsbetriebe mit rund 270 Millionen Euro jährlich den Facharbeiternachwuchs. Dieser Einsatz bleibt in der Diskussion meist unbeachtet. Ebenso wie das Engagement und die Kosten, die mit einer Befähigungs- oder Meisterprüfung verbunden sind.

  • Was eine Meisterprüfung kostet

So ist beispielsweise für die Befähigungsprüfung als Baumeister mindestens ein Jahr für Kurse und die Prüfung in drei Modulen – darunter Bautechnologie, Rechtskunde, Baumanagement und Betriebsmanagement – sowie Kosten in der Höhe von 12.000 Euro zu veranschlagen. Wer wiederum zur Meisterprüfung als KFZ-Techniker antritt, muss bis zum Examen mindestens 8 Monate lang Kurse absolvieren und unter anderem in Diagnosemethoden, Umweltschutz, Elektronik und Motorentechnik bestehen. In diesem Fall belaufen sich Kurs- und Prüfungsgebühren auf rund 3500 Euro. In diesem Zusammenhang plädiert Brigitte Jank, die auch Universitätsrätin ist, für mehr Autonomie der Universitäten bei der Einhebung von Studiengebühren. „Vergleicht man die Ausbildungskosten, die Studenten und angehende Meister selber tragen müssen, gibt es eine gravierende Benachteiligung der Lehrabsolventen“, so Jank. Im Sinne einer Gleichbehandlung bzw. einer Attraktivierung der Lehrberufe sei es dringend notwendig, endlich Fairness herzustellen.

  • Aufbrechen von Ausbildungs-Sackgassen

Unter dem Motto „Lebenslanges Lernen“ spricht sich die Wirtschaftskammer Wien zudem für mehr Durchlässigkeit im heimischen Bildungssystem aus. Beispielsweise einen leichteren Zugang zu Fachhochschul- und Unversitätsstudien für Absolventen einer Lehre. Mit einem solcherart weiterentwickelten Verständnis von Hochschulbildung würde Österreich an einen internationalen Standard anschließen. Mit einer zusätzlichen Karriereperspektive würde die Lehre massiv an Attraktivität gewinnen. Denn Lehre, Matura und Studium dürfen keine Gegensätze sein und der Wert der Lehre muss endlich anerkannt werden. „Die umfassende Reform unseres Bildungswesens ist das Herzstück zur Sicherung des Standortes“, so Jank. Optimale Berufsvorbereitung und gesicherte Bildungsstandards Teil des von der Wirtschaftskammer Wien geforderten Reformpakets sind darüber hinaus gesicherte Bildungsstandards. Denn eines ist klar: „Wir haben ein Schulproblem und kein Lehrlingsproblem“, betont Jank. Um so vielen Jugendlichen wie möglich eine betriebliche Ausbildung zu sichern, sie fit für das Berufsleben zu machen und ihnen weiterführende Bildungswege zu eröffnen, schlägt die Wirtschaftskammer Wien daher eine Neuordnung unter dem Titel „Neunte Schulstufe NEU“ vor: Eine umfassende Berufsorientierung und -information als Pflichtgegenstand in der 7. Schulstufe.

  • Eine Potentialanalyse, um den Schülern objektiv ihre eigenen Neigungen und Talente vor Augen zu führen

Mittlere Reife nach der 9. Schulstufe als aussagekräftiger Qualifizierungsnachweis für o das Erreichen der Bildungsziele und o als Voraussetzung für alle weiterführenden Bildungswege. Durch ähnliche Maßnahmen konnte beispielsweise Finnland den Anteil seiner Risikoschüler auf 12 Prozent reduzieren.

Bildquelle: www.skillsaustria.at; WorldSkills 2011
Bildquelle: www.skillsaustria.at; WorldSkills 2011