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Schimmel – Wichtig ist die ganzheitliche Betrachtung….

Sachverständigenbericht von Dipl.-Ing. Manfred Heinlein, Architekt, ö.b.u.v. Sachverständiger für Schäden an Gebäuden, D-Bamberg

Problem – Sachverhalt: Liebe Leserinnen und Leser, dann führe ich Sie jetzt von der vom Kollegen Probst beschriebenen Theorie in die Praxis eines Schimmelpilzschadens: Ein bis dato hinsichtlich Schimmelpilzen unauffälliges Mehrfamilienwohnhaus aus den 60-er Jahren erfährt vor ca. 1 1/2 Jahren eine gut gemeinte Verbesserung hinsichtlich Energieeinsparung durch Austausch der Verbundfenster gegen hoch wärmedämmende Kunststofffenster. Und – quel malheur – es entsteht plötzlich Schimmelpilz. Besonders betroffen ist die Souterrainwohnnung direkt über der Tiefgarage.

  • Ergebnisse des Ortstermins

Bereits beim Betreten der Wohnung fällt der Geruch nach feuchten und muffigen, weil zumindest „angeschimmelten Gegenständen“ auf. Auf den mit Raufaser oder Kunststoffstrukturtapeten bekleideten Außenwänden und den daran anschließenden Innenwänden sind an vielen Bereichen punktförmige Schimmelpilze zu erkennen. Teilweise sind die zu einem richtigen Teppich zusammengewachsen. Im Schlafzimmer und im Bereich der Schranknische (für den bodenlangen Vorhang versteht sich), stellt sich die Tapete zusätzlich großflächig ab. Neumodisch hat der Schrank weder einen Sockel, noch steht er mit genügend Abstand vor der Außenwand. Hinter der an der westlichen Außenwand anliegenden Sofalehne (klassisch, wie Kollege Probst diese theoretisch beschreibt), und über gesamte Länge bis zu einer Höhe von ca. 40 cm reichend, sind ebenso Schimmelpilze zu sehen. Vor dieser Wand kragt die Tiefgaragendecke aus und schließt mit einer Betonbrüstung ab. Bild 1.

Der Bereich bis zur Außenwand ist zudem noch mit Erdreiche ca. 30 cm hoch angefüllt. Außenecken unter den Decken sind ebenso befallen wie die Bereiche unter den Arbeitsplatten in der Küche und die Fliesenfugen in der Dusche. Sogar unter der Natursteinfensterbank und der Heizkörpernische finden sich die Schimmelpilze.

Als erste Maßnahme, als der Schimmelpilz an der Westwand des NW-Zimmers sein unheilvolles Wachstum begann, hatte der überforderte Vermieter, auf den Rat Unwissender hin, eine Innendämmung in Form einer mit einer Wärmedämmung kaschierten Gipskartonplatte einbauen lassen.  An der Außenecke wächst der Pilz bereits wieder hervor – Bild 2. Was denken Sie wohl, was der Mieter auf meine Frage antwortete, ob sich denn im Nutzerverhalten irgendetwas seit Einbau der Fenster geändert hat: Natürlich ein entrüstetes „NEIEN“. Aber: Es ziehe jetzt überhaupt nicht mehr in der Wohnung bei Wind. Aha!

Bautechnische Beurteilung

Wir haben es hier mal wieder mit einem klassischen Fall von schlussendlich nicht vollends durchdachten Teilmaßnahmen zu tun. Es rächt sich jetzt, dass dabei das „Große Ganze“ übersehen wurde (wo ist sie, die Sanierungsplanung?). Ein Haus ist durchaus mit den menschlichen Organismus zu vergleichen, in dem alles voneinander in Abhängigkeit ist. Auch ein kranker Mensch wird von Fachmediziner sinnübertragen nur in Einzelteilen gesehen. Und so fehlt auch hier oft der Blick für das Ganze. Gebäude bestehen aus vielfältigen, aufeinander abzustimmenden Bauteilen mit jeweils speziellen Aufgaben. Greife ich, wie hier, in das fragile Gleichgewicht zwischen – zugegebenermaßen – schlechter dämmenden Fenster durch Austausch eines einzigen Bauteils (hier wurde wahrscheinlich der Spezialist für Fenster gefragt) ein, so kippt dieses Gleichgewicht hin in Richtung schwächstes Glied der Kette. Dieses ist nunmehr nicht mehr das Fenster, sondern die Außenwand. Und erkläre ich jetzt meinem Mieter die nun geänderten Umstände und die sich daraus ergebenden Zusammenhänge zwischen Wohnen/Heizen und Lüften nicht, beginnt ein Drama in mehreren Akten:

Akt 1: Das Gebäude mit allen Eigenschaften dieser Zeit, die da sind: Verbundfenster (das sind die,  über die sich jeder freut, der sie putzen darf. Denn hier muss der Rahmen zum Putzen geöffnet werden, es sind 4 Scheibenflächen zu reinigen); Außenwände mit 24 cm Dicke…Die Fenster übernehmen dabei unter anderem eine Art Entfeuchtungsaufgabe, wie sie im Artikel Probst beschrieben ist. Hinzu kommt natürlich, dass diese Fenster noch über keine Lippendichtung verfügen, was eine gesunde Luftwechselragte ergab (jetzt hinterfragen Sie bitte nicht meinen letzten Artikel über die Luftdichtheitsschicht, dieser entstand ja vor einem ganz anderen Hintergrund). Dieser Art Zwangslüftung führte dazu, dass nicht nur der Mensch gesünder war, weil die Schadstoffbelastung der Raumluft durch menschliche Vorgänge geringer war. Sie sorgte auch dafür dass die feucht-warme Luft durch kalt-trockene Luft ausgetauscht wurde. Dies alles entfällt jetzt mit Einbau der neuen Fenster. Klar, wohin das führt, ja führen muss??  Bild 2 zeigt Ihnen die Ecke zweier Außenwände, übrigens eine klassische geometrische Wärmeausleitbrücke: Einem Punkt steht praktisch linear eine enorm große Auskühlungsfläche gegenüber, so dass eine Unterkühlung eintritt. In derartigen Ecken staut das feucht-warme Luftvolumen, eine Umlüftung ist unmöglich. Unsere Altvorderen hatten aus diesem Grund auch die Ecken ausgerundet. Wo ist derartiges Wissen geblieben?

Akt 2: Mit dem Schimmelbefall an der Westwand beginnt die Verteilung der Sporen in der ganzen Wohnung. Verschärfend kommt jetzt der erste Versuch hinzu, der Schimmelbildung durch Aufbringen einer Innendämmung an dieser Wand „Herr“ zu werden. Damit wandert der Taupunkt weit nach innen, wahrscheinlich genau in den Bereich, wo die Innendämmung auf die Außenwand aufliegt (muss man nicht berechnen, es reicht das Denken!). Zusätzlich wird die Außenwand, die ja dem Schlagregen ausgesetzt ist,  immer feuchter, da auch der Wärmeanreiz (und damit die Rücktrocknungsmöglichkeit) von innen fehlt.

Merke: Pro Prozentpunkt Feuchtigkeit verliert die Wand ca. 5 Prozentpunkte Wärmedämmfähigkeit!

Interessant ist, dass sogar der Zwickel über dem Heizkörper zwischen Natursteinfensterbank und dünner Außenwand befallen war. In diesem Zwickel hält sich ein stehendes, zumindest zeitweise angewärmtes Luftvolumen. Die Natursteinfensterbank leitet die Wärme über die dünne Mauerschalen nach außen weg, es entsteht unterseitig Kondensat. Kommt Staub hinzu heißt es: „Schimmelpilz marsch“. Die nächsten Wärmeausleitbrücke und damit noch ein nun schwächeres Glied in der Kette, ist  die auskragende Decke über der Tiefgarage mit der anbetonierten Brüstung. Gleicher Ablauf wie vor, Schimmelpilzbildung über die gesamte Länge des Raumes.

Akt 3: Die Mieter wurden nicht über die Folgen des Einbaus der neuen Fenster und die Auswirkungen auf Ihr Wohnverhalten aufgeklärt, die da wären: Heizen + öfters Lüften (und zwar nicht mit gekoppten Fenstern, sondern Stoßlüften). Was meinen Sie, impliziert aber der Einbau hochdämmender Fenster bei diesen Menschen? Na, ich muss doch jetzt erst recht Energie sparen! Soll heißen: Die Fenster bleiben zu, Heizung runter oder aus, sie bleiben in ihrem Mief sitzen nach dem Motto: Es ist zwar schon so mancher erfroren, aber noch keiner erstunken.

  • Jetzt wird die Raumluft immer feuchter, sie kondensiert an dem nun schwächsten Glied in der Kette, den Außenwänden.

Wem kann man denn einen Vorwurf machen, werden Sie uns jetzt, vor allem die Vertreter der juristischen Fakultät, fragen? Nur so viel: Eine Quotelung der Verantwortlichkeiten ist reell praktisch unmöglich. Ursache ist und bleibt einfach ein nicht mehr vorhandenes (oder verschüttetes?) ganzheitliches Denken und das Verstehen von (bau-)Physikalischen  Zusammenhängen.

  • Was ist zu tun?

Schwierige Frage. Zuerst unter mit den pilzfreundlichen-Tapeten und der Innendämmung. Wie schon Kollege Probst feststellte, können alkalische BaustoffeKalkputz mit Kalkanstrich – weitere Optionen sein. Möglicherweise muss die auskragende Betonplatte weggenommen werden usw. Und dann natürlich Aufklärung der Mieter hinsichtlich (bauphysikalische) richtigen Wohnverhalten. Dipl.-Ing. Manfred Heinlein, Architekt, ö.b.u.v. Sachverständiger für Schäden an Gebäuden, D-Bamberg; PDF-Downloadmöglichkeit; der Artikel wurde auch in der Fachzeitschrift IBR-online.de veröffentlicht.

Bild 2: NW-Ecke als geometrische Wärmebrücke mit Innendämmung; Bildquelle: Dipl.-Ing. Manfred Heinlein
Bild 1: Westwand mit auskragender Betonbrüstung; Bildquelle: Dipl.-Ing. Manfred Heinlein

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